Kochtopf mit Internetanschluss: Das Möglichmacher-Netz

Gestern-Industrie ohne Zukunft
Gestern-Industrie ohne Zukunft

 

Die vernetzte Ökonomie macht auch vor der klassischen Industrieproduktion nicht halt. Schlagworte wie Industrie 4.0, Smart Factory, intelligente Fabrik, Integrated Industry, Machine-to-Machine-Kommunikation und Internet der Dinge sind ein Wegweiser für die Veränderungen in den nächsten Jahren:

„Sie beschreiben die Vernetzung der bisher insular aufgebauten Produktion und der Unternehmen; oder auf gut Deutsch: Ohne Internet und Software geht künftig gar nichts mehr. So wie fast jeder Büroarbeitsplatz einen Internetzugang hat, wird zukünftig jede Maschine einen solchen Zugang haben. Vor allem geht es darum, dass die Maschinen untereinander vernetzt werden und kommunizieren können“, so FAZ-Redakteur Georg Giersberg.

Es reicht nicht mehr aus, über Spezialkenntnisse für Mechanik, Maschinenbau oder Fertigung zu verfügen – Wissen über Software und Programmierung müssen dazu kommen.

„Der Anteil der Softwareingenieure nimmt in der Industrie deutlich zu“, so Giersberg.

Es gebe kaum eine technische Disziplin, die ohne elektronische Steuerungen und ohne Vernetzung mit anderen Steuerungssystemen oder dem Internet auskommt – das gilt selbst für Kochtöpfe, Heizungsanlagen und Druckmaschinen.

So kann Siemens schon längst nicht mehr als lupenreiner Elektrokonzern bezeichnet werden. Der Unternehmensriese habe heute mit 18 000 Softwareingenieuren etwa so viele wie Microsoft.

„Obwohl Siemens kein klassisches Softwarehaus wie SAP ist, hat das Münchener Unternehmen bisher mehr als 7 Millionen Softwarelizenzen verkauft. Der Bereich Industriesoftware – die Verbindung von Maschinen mit Programmen – wächst erheblich schneller als die gesamte Automationstechnik“, erläutert Giersberg.

Die aktuell diskutierte Revolution des Produktionsprozesses rüttelt an vielen Paradigmen der Berufswelt der Ingenieure: Neben der technischen Expertise, wird zusätzliches Informatikwissen über Interoperabilität, Offenheit und Skalierbarkeit durch die dazu notwendigen IT-Architekturen und Middleware-Komponenten verlangt.

IT-Stress für Ingenieure

„Dies sind im Grunde genommen unvereinbare Anforderungen, die einen Ingenieur an die Grenze seiner mentalen Fähigkeiten bringt. Entweder man ist ein begnadete Schrauber und Nerd oder der vorausschauende konzeptionell denkende IT-Architekt“, sagt Kasten Berge, Geschäftsführer von SearchConsult in Düsseldorf.

Die praktische Lösung für diese Herausforderung könne zurzeit nur die geschickte Zusammensetzung von Projektteams sein, die sowohl aus Personen mit Ingenieursdenke, als auch aus Informatikern bestehen.

„Diese Teammitglieder werden eine Zeit lang trefflich aneinander vorbeireden, da die jeweiligen Begriffswelten durch ihr jeweiliges Studium unterschiedlich geprägt sind. Die ‚Wanderer’ zwischen den Welten der Informatik und des Ingenieurwesens haben hier erhebliche neue und attraktive Chancen am Arbeitsmarkt. Die Unternehmen werden auf externe Hilfe angewiesen sein, um diese Experten am Markt zu finden und für das eigene Unternehmen zu begeistern“, weiß Personalberater Berge.

Vernetzte Welt

Der reine Abgleich von Fachbegriffen in einem Lebenslauf und einer Stellenausschreibung reiche nicht aus, um den passenden Kandidaten für eine offene Vakanz zu finden. Außerdem werden solche Spezialisten nur auf direkte Anfrage über ein belastbares Netzwerk reagieren.

Talente wandern ab

Um diese Talente zu rekrutieren, sollten aber auch die Entscheider in Politik und Verbänden ihre Hausaufgaben machen. „Schon aus Prestigegründen ist es für junge Deutsche viel attraktiver, nach Kalifornien zu gehen“, betont bwlzweinull-Blogger Matthias Schwenk. Er kann es sich nicht erklären, warum Deutschland eine Verschiebung der Technologien in die vernetzte Welt nicht stärker als Chance begreift und in der Spitze mitspielt. Über Jahrzehnte seien wir als Industrienation immer vorne gewesen. Die Notwendigkeit der digitalen Transformation wird nicht gesehen – auch nicht in den Industrieverbänden:

„Dass sich die Technologien verändern und verschieben, bekommt kaum einer so richtig mit. Die Politik schläft und von den Industrieverbänden kommt auch zu wenig. Diese alten Herren, die selber noch mit der Hand am Arm arbeiten, können die digitale Sphäre gar nicht nachvollziehen, weil sie es selbst nicht erleben. Da werden die Tagesmappen noch von der Sekretärin ins Chefzimmer reingetragen, um alles sehr schön auf Papier abzuzeichnen. Wer so arbeitet, sieht nicht, was sich wirklich bewegt“, moniert Schwenk.

Die netzökonomischen Themen stehen aber selbst bei den Internetaktivisten kaum eine Rolle. Von den meisten aktiven Bloggern, die sich mit Netzpolitik befassen, werde das Internet als Medium für Inhalte gesehen.

„Das Netz ist aber auch Möglichmacher für neue Geschäftsmodelle und vernetzte Wertschöpfungsketten. Das haben nur wenige Netzaktivisten im Blick. Da gibt es aber auch aus den Forschungsinstituten und Hochschulen zu wenig Unterstützung. Auch von dort müsste mehr geliefert werden“, resümiert Schwenk.

Auf nach Köln am 16. und 17. November

Auf nach Köln am 16. und 17. November

 

Vielleicht sollten wir dazu mal ein Barcamp mit netzökonomischen Themen auf die Beine stellen – im nächsten Jahr. Jetzt kommt erst einmal das #StreamCamp13 in Köln am 16. und 17. November in Köln. Ein digitales Experimentierlabor fürs Livestreaming von Audio und Video. Nicht nur für die Streaming-Community ein wichtiges Datum – da geht es auch um Netzökonomie:
Siehe auch: Warum Unternehmen eine erweiterte Medienkompetenz benötigen und zum #StreamCamp13 kommen sollten.

Ein Kommentar

  1. Ein Gedankengang zur Herausforderung der geschickten Zusammensetzung von Projektteams – und deren Moderation und Führung durch „Wanderer zwischen den Welten“: Auf der einen Seite haben wir die zunehmende Spezialisierung im Berufsleben (begünstigt auch durch die Tendenz zu Kurs- und Modulorientierung in Schule und Studium), auf der anderen Seite die zunehmende Komplexität der Aufgabenstellungen. Damit vor diesem Hintergrund praxisnahe, ökonomisch sinnvolle und gesellschaftlich akzeptierte Technologieunterstützung konzipiert und realisiert werden kann, kommen wir um Teamwork mit permanenter gegenseitiger Inspiration und Rückkopplung gar nicht herum. Universalgenies à la Leonardo da Vinci sind Ausnahmeerscheinungen, umso mehr muss man vorhandene Talente suchen, fördern und fordern, ihnen Perspektiven geben, ihre Fähigkeiten abrufen. Und wir brauchen Projektmanager mit dem Blick für das ganze, mit ausreichend Einblick in die Fachdisziplinen, unternehmerischen Verständnis, sozialer Kompetenz und gesundem Menschenverstand. Über Jahrhunderte waren (sind) es im Bereich des Bauens die Architekten, die mit ihrer auf beachtliche Breite und die Herausbildung von Methodenkompetenz angelegten Ausbildung nicht nur die Gestalter, sondern – sicherlich auch bestärkt durch ein hohes Maß an persönlichem Idealismus – auch die idealen Manager des Planungs- und Bauprozesses und Garanten für den Erfolg waren, bis sie aufgrund der enormen Spezialisierung und Bürokratisierung einerseits und der Verwertungsmaschinerie der Immobilienökonomie andererseits immer stärker ins hintere Glied zurückweichen müssen. Dennoch scheint mir ein Blick auf das Berufsverständnis des Architekten sehr lohnend, um daraus Schlüsse zu ziehen auf der Suche nach einem besseren Umfeld für Möglichmacher und Wanderer auch in anderen Branchen. (Gute) Architekten verstehen es in ihrer Branche, unterschiedlichste Erwartungshaltungen (Bauherr, Investor, Nutzer, Behörde, Fachingenieure, Normen und Gesetze, Termine und Budgets, Funktionalität, Wohlbefinden, Design, Nachhaltigkeit und Wertschöpfung, …) zu erkennen, zu formulieren, zu strukturieren und alle Beteiligten zu motivieren, einerseits das jeweils beste zu geben, sich andererseits dem gemeinsamen Erfolg unterzuordnen. Schlechte Projektmanager hören von ihren Spezialisten: „so geht das nicht, so auch nicht, und so schon gar nicht“. Gute Projektmanager hören stattdessen: „hier sind drei Lösungen, alle umsetzbar, jetzt bist du wieder dran“.

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